„Menschen in unserer Nachbarschaft“

Menschen in unserer Nachbarschaft

Frau C., Jahrgang 1943 lebt seit Jahrzehnten in Dossenheim. So lange, dass sie gar nicht mehr genau weiß, wann sie hergezogen ist.

Geboren ist sie in Napoli und mit ihren fünf Geschwistern  in Ercolano aufgewachsen. Das liegt acht Kilometer südöstlich von Napoli am Fuße des Vesuvs. Die Stadt steht an der Stelle des antiken Herculaneum, das von den Griechen ca. 89 v. Chr. gegründet wurde. Ebenso wie das nahegelegene Pompeji wurde sie beim Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 n. Chr. verschüttet.  An dieser Stelle entstand Ercolano   ̶    heute eine mittelgroße Stadt mit ca. 52.000 Einwohnern. Die Ausgrabungsstätten des antiken Herculaneum ziehen viele Touristen nach Ercolano. Aber in den 1960er Jahren war das noch ein wenig anders und es stellt sich natürlich die Frage, warum eine junge Frau das schöne Italien verlässt, um sich in Deutschland ein neues Leben aufzubauen. Da kann doch nur ein Mann im Spiel gewesen sein!  Den lernt die damals 19jährige beim Weihnachtsgottesdienst in Ercolano kennen. Er verbrachte seinen Weihnachtsurlaub in der Heimat und es war wohl ein echtes Weihnachtsgeschenk, ausgerechnet an Weihnachten die „Frau des Lebens“ kennenzulernen. Nach 6 Monaten wurde geheiratet und Frau C. zog frisch vermählt vom Golf von Neapel an den Neckar, genau gesagt nach Eberbach. Dort arbeitete ihr Mann als Steinmetz. „Er hat wunderbare Skulpturen gemacht, sogar seinen eigenen Grabstein“, schwärmt sie von ihm. Leider gab es damals keine Schutzmasken, so erkrankte auch ihr Mann aufgrund der gesundheitsschädlichen Arbeit am Stein an einer Staublunge.

Zwei ihrer Kinder wurden noch in Eberbach geboren. Nach einigen Jahren erhielten sie ein Stellenangebot an die Bergstraße. Seither lebt die Familie in Dossenheim. Ihre inzwischen drei Kinder sind hier aufgewachsen und zur Schule gegangen. So lange ihr Mann noch lebte, haben sie jedes Jahr die Ferien in Ercolano verbracht. Aber seit  er verstorben ist und auch  die verwandtschaftlichen Kontakte durch den Tod der Geschwister immer brüchiger werden,  fährt sie nicht mehr jedes Jahr in die Heimat, obwohl sie immer noch Heimweh hat und sich hier oft sehr einsam fühlt.

Frau C. hat ihr Leben lang sehr hart gearbeitet. Neben der Familienarbeit war sie immer berufstätig gewesen. Zuerst bei der Firma BBC  in Eberbach und in Heidelberg/Pfaffengrund, später in der  Füllfederhalterfabrik Mutschler in Handschuhsheim. Sie ist glücklich, dass ihre älteste Tochter auch in Dossenheim lebt und sich sehr um sie kümmert und auch die beiden jüngeren Kinder in ihrer Nähe geblieben sind. Ihre Tochter ist eine wunderbare Köchin. Wenn Frau C.  nicht am Mittagstisch in der Begegnungsstätte teilnimmt, wird sie von ihr mit italienischer Küche verwöhnt.

Interview vom 13. Juli 2020  von Tabea Dürr