FSB Vortrag: Stefanie Wiloth spricht über Demenz

„Wenn mehr und mehr die Worte fehlen…“

Über die Bedeutung und die Möglichkeiten gelingender Kommunikation mit Menschen mit Demenz

Dr. phil. Stefanie Wiloth (Dipl. Gerontologin), Institut für Gerontologie, Universität Heidelberg

Der Vortrag fand am 02.05.2022 im Rahmen der Vortragsreihe von fsb Dossenheim statt.

Als Motto ihres Vortrags wählt Dr. Wiloth ein Zitat von Friedrich Dürrenmatt:

„Was alle angeht, können nur alle lösen.“

Die Referentin erläutert zu Beginn die Krankheitsentstehung von Demenzen, Verlusten und Bedürfnissen der Betroffenen. Dieser Teil wird hier verkürzt dargestellt. Grund: Der Demenz-Vortrag von Dr. Kramer im Februar behandelte bereits die Frage „Was ist Demenz?“, das besondere Neue im Vortrag von Dr. Wiloth konzentriert sich auf die Frage zum Umgang mit Betroffenen, also die „Bedeutung der Kommunikation und die Förderung der Potenziale“.

 

Teil 1 Demenz

Hier also lediglich einige wichtige Stichworte aus dem Vortrag von Dr. Wiloth:

„Demenz“ und „Alzheimer“ sind nicht dasselbe, die Alzheimer-Krankheit ist jedoch die häufigste Ursache für eine Demenz. Die Alzheimer-Demenz äußert sich durch eine Beeinträchtigung in Aktivitäten des täglichen Lebens, im Verhalten zeigen sich psychiatrische Begleitsymptome wie Aggression, Enthemmung, Depression, Rückzug usw. Es zeigen sich Störungen im Denken. Nervenzellverluste und ein schrumpfendes Gehirn führen in der Alzheimer-Krankheit zu Störungen in der Wortflüssigkeit, in der Wortfindung, im Auffassungsvermögen, im Sprachverständnis. Folge: Reduzierte Alltagskompetenz, fehlerhafte Verbindung zwischen Kopf und Körper.

Menschen mit Demenz weisen im Vergleich zu gesunden Älteren eine deutlich erhöhte Vulnerabilität (Verwundbarkeit, Verletzbarkeit) gegenüber verschiedenen Stressoren ihrer Umwelt auf. D.h. sie sind z.B. anfälliger gegenüber Veränderungen wie etwa einem Umzug oder gegenüber Infektionen. Aber auch unerfüllte Bedürfnisse können Auslöser für „herausforderndes Verhalten“ sein.

Dr. Wiloth verweist an dieser Stelle auf den englischen Sozialpsychologen und Gerontologen Tom Kitwood (1937-1998). Er schlug in seinem personenzentrierten Ansatz über zentrale psychische Bedürfnisse von Menschen vor, sich in dem umfassenden Bedürfnis nach Liebe fünf große, zusammengehörende Bedürfnisse vorzustellen: Trost, Bindung, Bezogenheit (Einbeziehung), Beschäftigung und Identität. Näheres in dem Buch von Tom Kitwood: „Demenz. Der personenzentrierte Ansatz im Umgang mit verwirrten Menschen“ Bern 2008 (Neuauflage 2019).

 

Teil 2 Kommunikation

Grundsätzlich ist „Kommunikation“ ein Ablauf zwischen „Sender“ (Darbieten) und „Empfänger“ (Empfangen, Verstehen, Behalten).

Dr. Wiloth erinnert an den oft zitierten Merksatz des bekannten Philosophen, Psychotherapeuten und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick:

„Man kann nicht nicht kommunizieren.“

Das gilt auch für Menschen mit Demenz!

Das „normal arbeitende“ Gehirn sortiert neue Nachrichten z.B. nach Musik, Sport, Freund, Beruf, Essen, Familie, Urlaub und so weiter.

Einem durch demenzspezifische, krankhafte Veränderungen betroffenen Gehirn gelingt das nicht. Ein an Demenz erkrankter Sender zum Beispiel hat Defizite in der Wortfindung. Er hat Defizite im „Bereich Empfangen“ (z.B. Aufmerksamkeitsstörungen), im „Bereich Verstehen“ (z.B. Defizite im Sprachverständnis oder schwindende Fähigkeit zum Entschlüsseln von Emotionen) und im „Bereich Behalten“ (z.B. Defizite im Kurzzeitgedächtnis oder z.B. im Behalten lebensthematisch bedeutsamer Informationen).

Aufgrund der krankhaften Veränderungen im Gehirn eines Demenzpatienten und den damit einhergehenden Sprach-, Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen fällt es ihm zunehmend schwieriger, einerseits konkrete Gesprächsinhalte verbal zu äußern, aber auch komplexe bzw. umfassende Informationen zu empfangen, zu verstehen und v.a. zu behalten.  Doch trotz dieser häufig ersichtlichen Defizite in der Kommunikation mit Menschen mit Demenz zeigen sich auch deutliche Potenziale: Menschen mit Demenz sind durchaus in der Lage, Informationen zu senden, dies aber vor allem non-verbal über Gefühlsäußerungen, d.h. über Gestik und Mimik. Zudem haben sie sehr feine Antennen für verbale und non-verbale Verhaltensweisen ihrer Sozialpartner. Dr. Wiloth: „Ein Mensch mit Demenz lässt sich kaum von Worten täuschen, er ist darauf angewiesen, zwischen den Zeilen zu lesen, versteht daher auch unterschwellige Stimmungen und Verstimmungen! Daher ist bei der Kommunikation mit Menschen mit Demenz darauf zu achten, „wie“ man mit ihnen spricht und nicht nur „was“ man zu ihnen sagt. Auch sollte darauf geachtet werden, wie sie auf das eigene Verhalten reagieren und das eigene Verhalten auf diese Reaktionen anpassen.

So empfiehlt Dr. Wiloth in Anlehnung an Haberstroh:

  • Blickkontakt herstellen, Aufmerksamkeit einholen
  • Langsame, kurze, klare Redeweise
  • „Ja“/“Nein“-Fragen stellen = keine „W“-Fragen stellen
  • Maximal zwei Angebote zur Auswahl stellen
  • Unterstützen Sie durch Gestik, Mimik und Berührung
  • Vermeiden Sie Zurechtweisung oder Kritik
  • Achten Sie auf die Gefühle, die mitschwingen, spiegeln Sie Verhalten
  • Wiederholen Sie sich und seien Sie aktiver Zuhörer
  • Zeigen Sie Anerkennung für das, was gelingt (Lob)
  • Seien Sie freundlich, zugewandt und respektvoll

Und – ebenso wichtig – beachten Sie: Dies gilt nicht nur für Ihre Worte, sondern auch für Ihre emotionalen Ausdrucksmöglichkeiten (Gesichtsausdruck, Körperhaltung…)!

Schlussfolgerung:

Es gibt kein Rezept für demenzspezifische Kommunikation!

Eine gelingende Kommunikation mit Menschen mit Demenz ist vor allem davon abhängig, welche ganz individuellen Stärken, Schwächen, Vorlieben und Bedürfnisse eines einzigartigen Menschen in einer ganz bestimmten Situation beobachtet werden können.

Die Kommunikation passt sich immer der individuellen Situation an!“

Dem „Sender“, der mit einem „demenzkranken Empfänger“ kommuniziert, rät Dr. Wiloth, insbesondere auf die Bedeutung der Selbstreflexion zu achten:

  • Reflexion der positiven und negativen Aspekte der Interaktion mit den Betroffenen
  • Reflexion der daraus resultierenden Handlungsnotwendigkeiten für das eigene Verhalten
  • Wahrnehmung von Stärken und Schwächen und ggf. Ausbau bzw. Reduktion

Eine gelingende Kommunikation, die dies beachtet, hat positive Effekte:

  • Die Situation zwischen „Sender“ und „Empfänger“ wird im stärkeren Ausmaß als selbst beeinflussbar und gestaltbar
  • Folge: Selbstwirksamkeit, Zufriedenheit/Wohlbefinden (Belastungsreduktion)